Ballistische Standards erklärt – TR
Die Technische Richtlinie (TR) gehört zu dem gängigsten Standard zur Prüfung von Schutzwesten in Deutschland. Diese beschreibt die ballistischen Forderungen an Schutzwesten und ihre verschiedenen Schutzklassen.
In diesem Blogbeitrag erläutern wir Ihnen die Besonderheiten der Richtlinie und gehen auf die einzelnen Prüfverfahren und die Schutzklassen ein. Anschließend vergleichen wir die deutsche Richtlinie mit dem amerikanischen Standard NIJ.
Technische Richtlinie (TR) - Definition und Anforderungen
Die technische Richtlinie, auch TR genannt, ist der gängigste deutsche Standard zur Prüfung von ballistischen Schutzwesten sowie Schutzwesten mit Stichschutz. Die Richtlinie stammt aus dem Jahr 2008 und umfasst verschiedene Prüfverfahren, Schutzklassen sowie ballistische Forderungen.
Laut TR soll die Schutzweste den Träger vor Verletzungen schweren Grades schützen. Diese soll durchschuss- und/oder stichschutzhemmend sein und somit ballistischen Schutz gewährleisten, wobei der Schutz sich lediglich auf den Oberkörper beschränkt.
Damit die Schutzwirkung der Weste aufrechterhalten bleibt, müssen äußere Bedingungen, wie Temperatur (Kälte, Wärme) oder Feuchtigkeit berücksichtigt werden. Aber auch die Bewegungsfreiheit darf nur geringfügig behindert werden.
Die technische Richtlinie (TR) setzt Verschleißtests und die Klimatisierung der Prüfmuster voraus.
Für die Klimatisierung werden Kälte- und Wärmetests durchgeführt, bei denen die Einlagen in einem Klimaschrank für 16 Stunden aufbewahrt werden, bei Temperaturen von -20°C und +20°C und einer Luftfeuchtigkeit von 65% sowie bei +70°C im stehenden oder hängenden Zustand.
Bei den Verschleißtests wird die Materialverarbeitung sowie die Widerstandsfähigkeit getestet. Die Einlagen werden dabei aus der feuchtigkeitsabsorbierender Außenhülle herausgenommen und ebenfalls für 16 Stunden aufbewahrt, allerdings bei der Temperatur von +40°C und einer Luftfeuchtigkeit von 90% bis 95%.
Des Weiteren schreibt die TR vor, welche Traumawerte eine Unterzieh-, bzw. Überziehweste haben soll. Bei einer Unterziehweste beträgt der Trauma Wert max. 40 mm. Bei einer Überziehwesten ist der Wert im Vergleich nur 22 mm, da die Überziehwesten die Einsatzbereitschaft des Trägers auch nach dem Treffer gewährleisten müssen.
Ballistische Schutzklassen nach TR (SK L BIS SK 4)
Die technische Richtlinie für die ballistischen Schutzwesten beinhaltet fünf Schutzklassen (SK L, SK 1, SK 2, SK 3 und SK 4). Diese unterscheiden sich nach den jeweiligen Munitionsarten und Bedrohungsgraden. Die gängigsten davon sind die Schutzklassen SK 1, SK 2 und SK 4.
Die Schutzklasse SK L ist zum Schutz gegen die Geschosse aus üblichen Faustfeuerwaffen vorgesehen1, die Schutzklasse 1 (SK 1) gegen die Geschosse aus Maschinenpistolen2. Geprüft werden die beiden Schutzklassen mit vier Schüssen bei 0° Winkel, drei Schüssen bei 65° Winkel sowie mit drei aufgesetzten Schüssen bei 0°.
Den Schutz gegen die Geschosse aus allen Faustfeuerwaffen bietet die Schutzklasse 2 (SK 2)3. Die Schutzklasse 3 (SK 3) ist zum Schutz gegen die normalen Geschosse aus Langwaffen vorgesehen4, die Schutzklasse 4 (SK 4) gegen die Hartkern-Geschosse aus Langwaffen5. Alle drei Schutzklassen werden mit jeweils drei Schüssen bei 0°und 65° geprüft.
- Schutzklasse SK L: Kaliber: 9×19 mm, Geschossart: FMJ/RN/SC, Auftreffgeschwindigkeit: 360 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 1 (SK 1): Kaliber: 9×19 mm, Geschossart: FMJ/RN/SC, Auftreffgeschwindigkeit: 415 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 2 (SK 2): Kaliber: .357 Magnum, Geschossart: FMs/CB, Auftreffgeschwindigkeit: 580 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 3 (SK 3): Kaliber: .223 Remington & .308 Winchester, Geschossart: FMJ/PB/SCP & FMJ/PB/SC, Auftreffgeschwindigkeit: 950 m/s ± 10 m/s & 830 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 4 (SK 4): Kaliber: .308 Winchester, Geschossart: FMJ/PB/HC, Auftreffgeschwindigkeit: 820 m/s ± 10 m/s
Jede Schutzklasse lässt sich mit Stichschutz aufrüsten. Des Weiteren wird bei jedem Beschusstest (pro Beschusswinkel) immer eine separate Einlage verwendet.
Die Beschussdistanz bei einem aufgesetzten Beschuss der Schutzklassen SKL, SK 1 und SK 2 beträgt 5 Meter. Distanz bei den Schutzklassen SK 3 und SK 4 beträgt im Vergleich 10 Meter.
Hervorzuheben ist auch, dass Addieren von Schutzklassen nicht zur Steigerung der Schutzklasse führt (Beispiel: SK1 + SK 2 ≠ SK 3).
Schutzklassen SK 1+ und SK 4+
Häufig werden die nicht in den Schutzklassen 1 bis 4 erfasste Kaliber in die Schutzklasse „SK1+“ oder „SK 4+“ zugeordnet. Dies sind keine offiziellen Schutzklasseneinteilungen der technischen Richtlinie für Schutzwesten. Dementsprechend werden diese unterschiedlich interpretiert.
Sehr oft wird die „SK1+“ als 7,62 x 25 VMR/WK (Tokarev) mit 5,5 g und einer Geschwindigkeit von 500 +-20 m/sec verstanden. Die Tokarev Hartkern (Eisenkern) ist hingegen nur sehr schwierig mit einem flexiblen Aufbau als Grundschutz zu stoppen.
Von der Schutzklasse „SK4+“ spricht man in den meisten Fällen bei einer Munition von 7,62 x 54 R VMS/HK-Brand B32. Die Geschwindigkeit gemäß VPAM-Klasse 10 wird dabei mit 860 +-10 m/sec angegeben. Erfahrungsgemäße wäre ein Einzelbeschuss mit diesem Kaliber bereits mit einer hochwertigen SK 4 Platte zu stoppen. Geht man von den Forderungen eines dreifachen Plattenbeschusses, gemäß der technischen Richtlinie für die Schutzwesten aus, ist der Plattenaufbau entsprechend zu konstruieren.
Sehr häufig wird auch die 7,62 x 51 VMS/HK mit einem Wolfram-Carbid-Kern (z. B. 7,62 x 51 VMS/HK FFV APHC von Bofors) mit „SK4+“ in Verbindung gebracht. Dieses Geschoss mit einem extrem harten und sehr schwer verformbaren Kern zu stoppen, bedarf eines relativ starken Aufbaus aus speziellen Hochleistungs-Keramiken.
TR vs. NIJ - Was ist der Unterschied?
Die wesentlichen Unterschiede zwischen der deutschen Richtlinie (TR) und der US-Richtlinie (NIJ) sind die Testmethoden, die unterschiedliche Einteilung der Schutzklassen und die unterschiedlichen Geschosse, die verwendet werden.
Anders als bei der US-Richtlinie verlangt die deutsche Richtlinie einen aufgesetzten Beschuss, bei dem die Waffe während des Beschusses mit einer Kraft von 100 Newton auf das Muster angesetzt wird. Des Weiteren erfolgt bei der deutschen Richtlinie der Winkelbeschuss bei einem Winkel von 25° gegenüber 45° und 60° bei US-Tests.
Die in der deutschen Richtlinie geforderten Tests mit Konditionierungen der Schutzpakete bei -20°C und +70°C sind nicht Bestandteil der NIJ-Forderung. Auch die verwendeten Geschosse sind nicht identisch. So wird zum Beispiel in den sehr gebräuchlichen Schutzklassen, die am ehesten verglichen werden (die deutsche Schutzklasse 1 und der NIJ Level IIIA), in der deutschen Forderung kein Beschuss mit der .44 Magnum durchgeführt.
Darüber hinaus verlangt die TR bei Schutzklassen SK L und SK 1 auch Nasstests in einer Entfernung von 0 Metern. Diese Forderung ist zum Beispiel nicht ein Teil von NIJ.
Auf der anderen Seite ist das verwendete 9 mm Geschoss nicht identisch. Die in der deutschen TR vorgeschriebene DM41SR ist aufgrund des Stahlmantels durchaus aggressiver als die im NIJ verwendete 9 mm Patrone.
Ähnlich markant ist auch der Unterschied bei der Schutzklasse 4 im Vergleich zum Level IV des NIJ. Während der Schutzeinschub nach deutscher Richtlinie einem Test mit 3 Schuss aufgesetzt wird, erfordert die US-Norm nur einen einzelnen Schuss. Auch hier verhalten sich die verwendeten Geschosse unterschiedlich.
Die Schutzwesten, die nach der deutschen Richtlinie TR entwickelt und getestet werden, sind mit einer feuchtigkeits- und wasserabweisenden Hülle versiegelt. Im Vergleich zu NIJ wird hier kein Wassertest durchgeführt, die Wasserdichtigkeit wird aber vorgeschrieben.
Darüber hinaus müssen die Schutzwesten, die TR entsprechen wollen, eine mindestens 10-jährige Garantie gewährleisten. Das ist bei dem amerikanischen Standard NIJ nicht der Fall.
Zu guter Letzt werden bei TR standardisiert keine Stichschutztests durchgeführt.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Technische Richtlinie (TR) mehr Bedrohungsszenarien behandelt, sowohl mit dem aufgesetzten Schuss als auch dem Beschuss mit (Polizei-)Sondergeschossen.
Man unterscheidet je nach Munitionsart und Bedrohungsgrad zwischen den fünf Schutzklassen für die ballistischen Schutzwesten (SK L, SK 1, SK 2, SK 3 und SK 4 – durchschusshemmend) sowie fünf Schutzklassen für die Schutzwesten mit dem Stichschutz (SK L ST, SK 1 ST, SK 2 ST, SK 3 ST und SK 4 ST – durchschuss- und stichschutzhemmend). Nicht selten werden die nicht in den Schutzklassen 1 bis 4 erfasste Kaliber in die nicht existente Schutzklasse „SK1+“ oder „SK 4+“ zugeordnet und unterschiedlich interpretiert.
Die deutsche Richtlinie (TR) wird häufig mit der US-Richtlinie (NIJ) verglichen, obwohl sie sich sehr stark in den Testmethoden, Geschossarten sowie Einteilung in die Schutzklassen unterscheiden. So werden nach der TR u. a. alle Prüfmuster den Verschleiß- und Klimatests unterzogen, jedoch keinen Stichschutztests wie bei der NIJ. Durch das aufwändige Prüfverfahren garantiert der Standard hohe Langlebigkeit und Robustheit der Schutzwesten (10 Jahre Garantie).