
Internationale Ballistische Richtlinien im Vergleich
Ballistische Richtlinien legen die Schutzstufen sowie die entsprechenden Prüf- und Zertifizierungsverfahren fest und bieten einen flexiblen und anpassungsfähigen Rahmen, um die Anforderungen kontinuierlich an neue Bedrohungen und technologische Fortschritte anzupassen. Sie dienen zuweilen als internationale Referenz für Schutzstufen und Bedrohungen im Bereich ballistischer Schutzausrüstung und gewährleisten die Konformitätsbewertung von Materialien, Konstruktionen und Produkten, die Schutz gegen Angriffe mit Schusswaffen bieten.
Zu den bekanntesten Beispielen zählen die NIJ-Standards in den USA, die VPAM-Richtlinien in Europa sowie nationale Rahmenwerke wie CAST und TR.
Dieser Blog stellt vier relevante Richtlinien, ihren Aufbau und die wichtigsten Unterschiede zwischen ihnen vor.
In diesem Blogbeitrag:
NIJ Standard 0101.07
Der NIJ Standard 0101.07 ist die aktuelle Richtlinie des National Institute of Justice der USA für die ballistische Widerstandsfähigkeit von Körperschutzausrüstungen. Dieser Standard legt die Mindestanforderungen und Prüfmethoden für den Schutz gegen Schusswaffenmunition, insbesondere Handfeuerwaffen und Gewehre, fest. Diese überarbeitete Version ersetzt den bisherigen NIJ Standard 0101.06 und wurde entwickelt, um den veränderten Bedrohungen und technologischen Entwicklungen gerecht zu werden. Der NIJ Standard 0101.07 stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung von Schutzausstattung dar. Durch die Einführung neuer Schutzstufen, verbesserter Prüfmethoden und einer engeren Zusammenarbeit mit internationalen Standards wird eine höhere Zuverlässigkeit und Anpassungsfähigkeit an moderne Bedrohungen erreicht.
Bedrohungen mit Handfeuerwaffen (NIJ HG1 und HG2):
- NIJ HG1: Vormals Level II ist für den Schutz gegen 9-mm-Luger FMJ RN-Geschosse und .357 Mag JSP Geschosse ausgelegt.
- NIJ HG2: Vormals Level IIIA, bietet verbesserten Schutz, auch gegen Bedrohungen wie .44 Mag JHP und 9 mm Luger FMJ RN Geschosse.
Gewehrbedrohungen (NIJ RF1, RF2 und RF3):
- NIJ RF1: Ein Upgrade gegenüber dem früheren Level III, das vor Bedrohungen wie dem 7,62 x 51 mm M80 Ball NATO FMJ und dem 5,56 mm M193 BT schützt.
- NIJ RF2: Bietet Schutz gegen 5,56 mm M855 BT, zusätzlich zu den in RF1 abgedeckten Bedrohungen.
- NIJ RF3: Die höchste Stufe nach diesem Standard, die der vorherigen Stufe IV entspricht, ist darauf ausgelegt, panzerbrechende Geschosse wie die .30-06 M2 AP zu stoppen. Die neue Richtlinie enthält spezifische Anpassungen für Schutzausrüstung, die für Frauen konzipiert sind. Zudem wurde die Schussposition neu definiert, um potenzielle Schwachstellen besser zu simulieren.
Der NIJ Standard 0101.07 stellt eine bedeutende Entwicklung in den Richtlinien für ballistischen Schutz dar. Er berücksichtigt die dynamische und komplexe Natur der Bedrohungen, mit denen Einsatzkräfte konfrontiert sind, und bekräftigt die Sicherheit durch strenge Tests und Zertifizierung von Schutzkleidung zu verbessern.
Eine detaillierte Übersicht zu der Aktualisierung der NIJ 0101.07 finden Sie in unserem Blog-Beitrag.
VPAM Richtlinie
Die Vereinigung der Prüfstellen für angriffshemmende Materialien und Konstruktionen (VPAM) ist eine Organisation, deren Hauptaufgaben in Forschung, Prüfung und Entwicklung von beschusshemmenden Materialien bestehen. Die VPAM-Prüfrichtlinien bieten eine detaillierte Klassifikation und Bewertung von ballistischen Schutzsystemen, Helmen und anderen Schutzausrüstungen.
Die VPAM-Richtlinie definiert 14 Schutzklassen, mit denen der Widerstand von Materialien gegen verschiedene Bedrohungen eingestuft wird.
- Klasse 1: Geeignet für .22 Long Rifle Lead Round-Nose Geschosse, getestet bei einer Geschwindigkeit von 360±10 m/s.
- Klasse 2: Schützt vor 9×19mm Parabellum Full Metal Jacket Round-Nose Geschossen bei 360±10 m/s.
- Klasse 3: Bietet Schutz gegen 9×19 mm Parabellum Full Metal Jacket Round-Nose Geschosse bei 415±10 m/s.
- Klasse 4: Entwickelt, um .357 Magnum Jacketed Soft Point Geschosse bei 430±10 m/s und .44 Magnum Jacketed Hollow Point Geschosse bei 440±10 m/s zu stoppen.
- Klasse 5: Für .357 Magnum Full Metal Jacket Geschosse mit einer Geschwindigkeit von 580±10 m/s.
- Klasse 6: Schützt vor 7,62×39 mm Geschossen mit Weichstahlkern bei 720±10 m/s.
- Klasse 7: Deckt 5,56×45 mm SS109 Geschosse mit 950±10 m/s und 7,62×51 mm Full Metal Jacket Geschosse mit 830±10 m/s ab.
- Klasse 8: Ausgelegt für 7,62×39 mm API BZ-Geschosse mit 740±10 m/s.
- Klasse 9: Schützt vor panzerbrechenden 7,62×51-mm-Geschossen mit einer Geschwindigkeit von 820±10 m/s.
- Klasse 10: Geeignet für 7,62×54 mmR API-Geschosse mit 860±10 m/s.
- Klasse 11: Vorgesehen für 7,62×51 mm AP-Geschosse mit 930±10 m/s.
- Klasse 12: Schützt gegen 7,62×51 mm Swiss P AP Geschosse bei 810±10 m/s.
- Klasse 13: Ausgelegt für 12,7×99 mm (.50 cal) Geschosse mit 930±10 m/s.
- Klasse 14: Schützt vor 14,5×114 mm API-Geschossen bei 911±10 m/s.
Mit ihrer detaillierten Klassifizierung von Schutzklassen und spezifischen ballistischen Bedrohungen spielt die VPAM-Richtlinie eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Sicherheit und Einsatzfähigkeit von Polizei, Militär und Zivilpersonen in Europa. Sie bietet einen klaren Rahmen für die Entwicklung, Prüfung und Zertifizierung von Körperschutzausrüstungen und stellt sicher, dass diese den höchsten Sicherheits- und Wirksamkeitsstandards gegen ein breites Spektrum ballistischer Bedrohungen entsprechen.
Erfahren Sie mehr im Blog VPAM.
Technische Richtlinie
Die Technische Richtlinie (TR) ist die maßgebliche deutsche Vorgabe für die Zertifizierung von Körperschutzwesten, insbesondere für Polizei, Militär und Sicherheitskräfte. Sie setzt hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards und wird durch regelmäßige Überarbeitungen sowie Anpassungen an neue Bedrohungslagen kontinuierlich weiterentwickelt, sodass sie ein wichtiger Bestandteil der persönlichen Schutzausrüstung bleibt.
Der TR unterscheidet fünf Sicherheitsklassen (SK), die sich nach dem Kaliber, der Geschossart und der Geschwindigkeit richten:
- Schutzklasse SK L: Kaliber: 9×19 mm, Geschossart: FMJ/RN/SC, Auftreffgeschwindigkeit: 360 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 1 (SK 1): Kaliber: 9×19 mm, Geschossart: FMJ/RN/SC, Auftreffgeschwindigkeit: 415 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 2 (SK 2): Kaliber: .357 Magnum, Geschossart: FMs/CB, Auftreffgeschwindigkeit: 580 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 3 (SK 3): Kaliber: .223 Remington & .308 Winchester, Geschossart: FMJ/PB/SCP & FMJ/PB/SC, Auftreffgeschwindigkeit: 950 m/s ± 10 m/s & 830 m/s ± 10 m/s
- Schutzklasse 4 (SK 4): Kaliber: .308 Winchester, Geschossart: FMJ/PB/HC, Auftreffgeschwindigkeit: 820 m/s ± 10 m/s
Durch die detaillierte Klassifizierung der Schutzstufen gegen spezifische Bedrohungen spielt die TR eine entscheidende Rolle bei der Steuerung der Entwicklung und Prüfung von ballistischer Schutzausstattung.
Erfahren Sie mehr im Blog TR.
CAST Standard
Der CAST-Standard (Center for Applied Science and Technology) ist ein britischer Referenzstandard für ballistische Schutzausstattung. Er wurde insbesondere für Polizei- und Sicherheitskräfte im Vereinigten Königreich entwickelt. Er legt die Mindestanforderungen und Prüfmethoden für den Schutz gegen ballistische Bedrohungen sowie gegen Messer und Spikewaffen fest.
Der CAST-Standard definiert verschiedene Schutzklassen, die sich nach Art der Bedrohung und der dazugehörigen Testmethode richten.
Ballistische Schutzklassen:
Diese Klassen beziehen sich auf den Schutz gegen Schusswaffen.
- H01 Schutz gegen 9 mm mit einer Geschwindigkeit von 365 m/s
- H02 Schutz gegen 9 mm mit einer Geschwindigkeit von 430 m/s
- H03 Schutz gegen 7,62 mm Nato Munition mit einer Geschwindigkeit von 830 m/s
- H04 Schutz gegen 308 Winchester mit 820 m/s
Messer- und Spikewaffenschutzklassen
- KR1 Schutz gegen Messer mit einer maximalen Eindringtiefe von 8 mm bei einer Energie von 24 J
- KR2 Schutz gegen Messer mit einer maximalen Eindringtiefe von 8 mm bei einer Energie von 33 J
- SP1 Schutz gegen Spikewaffen mit einer maximalen Eindringtiefe von 0 mm bei einer Energie von 24 J
- SP2 Schutz gegen Spike mit einer maximalen Eindringtiefe von 8 mm bei einer Energie von 33 J
Bei der Lebenszyklusüberwachung werden periodische Bewertungen durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Schutzwesten über ihre gesamte Lebensdauer hinweg die erforderlichen Schutzleistungen bieten.
Die HOSDB/CAST-Standards sind entscheidend dafür, dass britische Polizeibeamte mit ballistischer Schutzausstattung ausgestattet sind, die den speziellen Bedrohungen durch ballistische Projektile und Schnittwaffen in Großbritannien gerecht wird. Die Standards legen den Fokus darauf, das Risiko innerer Verletzungen durch stumpfe Gewalt zu verringern, und stellen sicher, dass die Schutzkleidung während ihrer gesamten Lebensdauer hohe Sicherheits- und Leistungsstandards erfüllt.
Lesen Sie hierzu den spannenden Blog-Beitrag.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass jede dieser Richtlinien spezifische Anforderungen und Prüfmethoden aufweist, die auf die jeweiligen regionalen Bedrohungsszenarien und Einsatzbedingungen abgestimmt sind.
Der NIJ-Standard ist insbesondere bei US-Behörden sowie weltweit in der militärischen Industrie etabliert. Die unterschiedlichen Schutzstufen decken ein breites Spektrum an Bedrohungen ab, von leichten Handfeuerwaffen bis hin zu panzerbrechender Munition.
VPAM setzt auf hohe Prüfstandards mit Mehrfachtreffern und europäischer Munition. Gerade im Fahrzeugschutz ist VPAM führend.
Die technischen Richtlinien des BKA sind praxisnah auf den Polizeialltag in Deutschland zugeschnitten. Sie kombinieren ballistischen mit Schnitt- und Stichschutz und legen Wert auf Tragekomfort, traumatische Wirkung und psychophysiologische Eignung.
Der CAST-Standard fokussiert sich stark auf den urbanen Polizeieinsatz. Typische Bedrohungen wie Schrotflinten, Handfeuerwaffen und improvisierte Waffen werden berücksichtigt. Die Tests sind streng auf die maximale Rückprallenergie und das Verletzungsrisiko ausgelegt.
Jede dieser Normen spielt in ihrer jeweiligen Region eine entscheidende Rolle, indem sie sicherstellt, dass Schutzausstattungen den spezifischen lokalen Bedürfnissen und Bedrohungen entsprechen und gleichzeitig zum globalen Verständnis von ballistischem Schutz und Sicherheit beitragen.
Zum Abschluss unserer Betrachtung der globalen ballistischen Richtlinien wird deutlich, dass diese mehr sind als nur technische Vorgaben. Es handelt sich um dynamische, sich weiterentwickelnde Systeme, die das Engagement für die Sicherheit und den Schutz derjenigen widerspiegeln, die an vorderster Front tätig sind, sei es bei der Polizei, im Militär oder im zivilen Bereich. Diese Standards, von NIJ in den USA bis VPAM in Europa und darüber hinaus, bieten einen Rahmen zur Bewertung und Sicherstellung der Wirksamkeit ballistischer Schutzausstattung. Sie stehen auch symbolisch für das weltweite Bestreben, sich an die sich ständig wandelnde Bedrohungslage anzupassen.
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